Literaturlandschaft Ruhrgebiet

Von der Städtestadt zur Metropole Ruhr, von der Industriekultur zur Kulturindustrie. Das Ruhrgebiet ist spannend. Erleben Sie mit mir den Wandel und die literarische Vielfalt in ausgesuchten Hör- und Videobeiträgen. Hier finden Sie zudem Kommentare und Kurzbiografien der beteiligten Personen, Informationen zum REVIERCAST-Projekt, Verweise auf verwandte Projekte sowie aktuelle Nachrichten aus der Literaturszene im Revier.

Viel Vergnügen beim Stöbern ...

Karl-Heinz Gajewsky

"Inzwischen habe ich mir Ihre Website angesehen, das ist ja ein Opus magnum, an dem Sie da arbeiten, die literarische Kartographierung des Ruhrgebiets, großartig, und mich haben Sie damit in beste Gesellschaft aufgenommen."

Andreas Rossmann, FAZ

... über Kalle Gajewsky, Max von der Grün und Abraham Lincoln

“...Ich packe das Notebook in seine Tasche, kaufe noch Zigaretten und düse zurück nach Dortmund, wo wir am nächsten Nachmittag mit Kalle Gajewsky verabredet sind. Kalle rückt mit seinen Mikrofonen, Kabeln sowie einem Festplatten-Recorder an und plaudert mit mir über alte Zeiten und Max von der Grün. Ach, wie schnell das Leben abläuft. Zwei Jahre sind vergangen seit mich Renate in San Augustin anrief, um mir traurig mitzuteilen, dass von der Grün verstorben sei. Mir kommt es vor, als wäre das erst gestern gewesen. Einen Flug zu seiner Beerdigung bekam ich so kurzfristig nicht. So habe ich eine Kerze für ihn angezündet und bin lange am Meer entlang gewandert. Kalle Gajewsky lässt mich von den guten (?) alten Zeiten erzählen. Ein paar Tage später stellt er unser Gespräch auf www.reviercast.de ins Internet. Feine Originaltöne sammelt Kalle und stellt sie zum Herunterladen auf seine website. Eine Art Chronik der Literatur aus dem Ruhrgebiet entsteht dort nach und nach. Jürgen Lodemann ist zu hören und Dieter Baroth. Hugo Ernst Käufer erzählt von Liselotte Rauner und über vieles andere mehr. Mich beeindruckt dieses idealistische, uneigennützige Projekt des Musikers und Liedermachers. Tja, alle wirklich wichtige Arbeit wird nun einmal von Freiwilligen geleistet. Das fand bereits Abraham Lincoln heraus, kurz bevor er (von einem Freiwilligen??) erschossen wurde, nachdem er ins Theater ging, was nur in Dortmund völlig ungefährlich ist. Dort ist man im Schauspielhaus vor allen Gefahren sicher...“ (Wolfgang Körner, 15. Juli 2007).

"Literaturwunder Ruhr"

Unter dem Titel "Literaturwunder Ruhr" fand am 30. und 31. Oktober 2009 eine wissenschaftliche Tagung im Haus der Geschichte in Bochum statt. Eingeladen hatten Prof. Dr. Klaus Tenfelde von der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets, Frau Hannelore Palm vom Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt Dortmund und Prof. Dr. Gerhard Rupp für das Germanistische Institut an der Ruhr-Universität Bochum und die Literarische Gesellschaft Bochum.

Der Kongress beschäftigte sich mit dem Aufkommen einer neuen Ruhrgebietsliteratur, die sich parallel zum industriellen und wirtschaftlichen Strukturwandel vollzogen hat. Professor Rupp stellte fest:

"Dieses Literaturwunder zeigt sich spätestens seit den 80er Jahren in einer prosperierenden Kultur- und Literaturentwicklung. Werke von Link, Lodemann, Rothmann, Seligmann, Streletz und vielen anderen bilden eine neue Qualität von Regionalliteratur heraus, die nicht nur affirmatorisch den Bezug auf die eigene Herkunft betont, sondern durch distanzierende Verfahren der Beobachtung und der Spiegelung anreichert. Dabei richten die Autor/innen den Blick nicht nur auf die Gegenwart, sondern verarbeiten immer wieder von ihrem gegenwärtigen Blickwinkel aus die Vergangenheit mit, und sie schauen nicht nur auf das Ruhrgebiet selbst, sondern sie sehen es vorzugsweise im übergeordneten europäischen Rahmen. Diese ‚Gegenbeobachtung’ verdankt sich u. a. dem Umstand, dass das Ruhrgebiet spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts selbst Ergebnis einer (geglückten) kulturellen Durchmischung ist..."

Die folgenden Hörbeiträge stellen die aktuelle Gegenwartsliteratur aus dem Ruhrgebiet in den Mittelpunkt und sind einzeln aufrufbar:

Prof. Dr. Rolf Parr, Bielefeld:
Ab in die ‚Mitten’. Von alten und neuen ‚mental maps’ des Ruhrgebiets

Dr. des. Thomas Ernst, Luxemburg:
Das Ruhrgebiet als Rhizom. Die großen Erzählwerke von Jürgen Link und Wolfgang Welt und das Jenseits des Metropolen

Prof. Dr. Klaus-Peter Strohmeier, Bochum:
„Neue Mitte“ und „neue Unterschicht“ - Wandlungen von Sozialstruktur und Sozialkultur im Ruhrgebiet

Prof. Dr. em. Jürgen Link, Hattingen:
Facetten einer anderen Heimatliteratur: „Kleine Literatur“ – „Nonprofi-Literatur“ – „Provinzpartisanen- Literatur“? (Mit einem autogenen Beispiel)

Lesung Yvette Vivien Kunkel, Witten:
Verdichtetes

Lesung Florian Neuner, Berlin/Thomas Ernst, Luxemburg:
Präsentation der Anthologie „Europa erlesen: Ruhrgebiet“

Prof. Dr. Michael Hofmann / Dr. des. Karin Yeilada, Paderborn:
Räume und Träume in den Migrationserzählungen türkisch-deutscher AutorInnen der zweiten Generation (60’)

Jonas Engelmann, Mainz:
„Der Stahlgolem“ – Jüdische Tradition im Ruhrgebiet? Kabbalistische Motive in Hendrik Dorgathens Ruhrgebietscomic

Dr. Martin Maurach, Frankfurt/Oder:
Wunderklänge? Der Strukturwandel des Ruhrgebiets in Hörspiel und akustischer Kunst

Werner Streletz, Bochum:
„Rauflustige Schwächlinge am Kiosk kaputt“ Lesung und Gespräch mit PD Dr. Ralph Köhnen, Literarische Gesellschaft und Ruhr-Universität Bochum

Gerd Herholz, LiteraturBüro Ruhr e. V., Gladbeck:
"Kunst, Kultur, Kreativität und Kampagnen – Literatur (-förderung) längs der Ruhr zwischen Inspiration und Ignoranz – nicht nur am Beispiel des Europäischen Literaturhauses Ruhr"

Prof. Dr. em. Harro Müller-Michaels, Bochum:
Literarische Gesellschaft Bochum als Beispiel der Kulturvermittlung im Ruhrgebiet

Daniela Walden, M.Ed., Bochum:
Migrantenliteratur aus dem Ruhrgebiet: Analyse und Rezeption

Dr. Artur Nickel, Bochum:
Literaturwunder, quo vadis? Im Fokus Kinder und Jugendliche aus dem Revier

Dr. Daniela Frickel, Bochum:
„Meinwärts!“ – Wohin es Autorinnen von und an der Ruhr zieht

Jan Boelmann M.Ed., Bochum:
Popliteratur und Bildungsroman – Strukturwandel in der Ruhrgebietsliteratur des neuen Jahrtausends

Frank Schorneck, Bochum, Macondo:
Chancen für junge AutorInnen im Ruhrgebiet

Dr. Jürgen Wilbert, Düsseldorf:
Das Deutsche Aphorismus-Archiv in Hattingen, die kleine Gattung im Ruhrgebiet

Dr. Jan-Pieter Barbian über "Die Entdeckung des Ruhrgebiets in der Literatur"

Die Liste der Schriftsteller, in deren Romanen, Erzählungen, Essays und Reportagen das Ruhrgebiet als Thema entweder eine zentrale Rolle einnimmt oder zumindest zeitweise Beachtung gefunden hat, ist reich an bekannten Namen. Literarisch „entdeckt“ wurde das Ruhrgebiet am Ende des Wilhelminischen Kaiserreichs und in der Weimarer Republik. Felix Beielstein, Karl Grünberg, Rudolf Herzog, Heinrich Kämpchen, Hans Marchwitza, Josef Winckler und Paul Zech, um nur einige Namen zu nennen, machten aus unterschiedlichen Perspektiven die Entwicklung der Industrie und der Arbeitsverhältnisse, der Politik und Gesellschaft in den Städten des Ruhrgebiets zum Thema ihrer Werke. Damals bekannte Autoren wie Bernard von Brentano, Alfons Goldschmidt, Heinrich Hauser, Egon Erwin Kisch, Joseph Roth und Georg Schwarz veröffentlichten ihre Reportagen in angesehenen überregionalen Zeitungen und Verlagen. Vor allem Erik Reger gelang es, mit seinen beiden Romanen „Union der festen Hand“ (1931) und „Das wachsame Hähnchen“ (1932) sowie mit seinen Beiträgen in der WELTBÜHNE, in der FRANKFURTER ZEITUNG oder im BERLINER TAGEBLATT, die deutsche Öffentlichkeit von der Bedeutung dieser industriellen Kernzone für ganz Deutschland zu überzeugen. Trotz dieser beachtlichen Vorgeschichte stellte Heinrich Böll 1958 in seiner Einführung zu einem Bildband des Kölner Fotografen Chargesheimer fest, dass das Ruhrgebiet „noch nicht entdeckt“ worden sei. Böll, dessen Vater aus Altenessen stammte, war besonders von den Menschen und ihrer Art, miteinander umzugehen, fasziniert. Nach ihm prägten vor allem die „Dortmunder Gruppe 61“ das Bild des Ruhrgebiets in der literarisch interessierten Öffentlichkeit. In den 1970er Jahren wurde diese Autorengruppe abgelöst vom „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“, zu deren bekanntsten Vertretern Erasmus Schöfer, Peter Schütt und Günter Wallraff gehörten. Mit Jürgen Lodemanns Roman über „Anita Drögemöller und die Ruhe an der Ruhr“ (1975) setzte die Entdeckung des Ruhrgebiets für den Kriminalroman ein. Gerade dieses Genre hat bis heute am nachhaltigsten das Leben an der Ruhr zum Thema gemacht. Doch sollten darüber andere Erzähler nicht vergessen werden: Hans Dieter Baroth mit seinen wunderbaren Familiengeschichten aus dem Bergarbeitermilieu, Nicolas Born, Michael Klaus, Horst Krüger, Ralf Thenior. Mit vier brillanten Romanen hat Ralf Rothmann seit 1991 einem großen Lesepublikum die Besonderheiten des Lebens im Ruhrgebiet der 1960er bis 1980er Jahre erschlossen.

"Die Entdeckung des Ruhrgebiets in der Literatur"

Vom 12. - 13. September 2008 fand die o.g. Tagung des Fritz-Hüser-Instituts für Literatur und Kultur der Arbeitswelt (Dortmund), der Stadtbibliothek Duisburg und der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Bochum) im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern II/IV in Dortmund-Bövinghausen statt. Mit Genehmigung der Referenten veröffentlicht REVIERCAST die Mitschnitte der wissenschaftlichen Vorträge:

Dr. Thomas Ernst (Brüssel):
www.thomasernst.net
"Von der Heimat zur Hybridität? Zur Entdeckung des Ruhrgebiets in der Literaturwissenschaft"

Jens Wietschorke M.A. (Berlin):
"Zur Formierung einer Kulturlandschaft. Das Ruhrgebiet in der Reiseliteratur 1800 - 1900"

Dr. Oliver Piecha (Wiesbaden):
"Das Ruhrgebiet als 'Städtestadt'. Eine Europavision aus der Weimarer Republik"

Dr. Matthias Schöning (Konstanz):
"Anomie der 'festen Hand'. Erik Regers literarische Analyse des Ruhrgebiets der 1920er Jahre"

Thomas Köhler (Münster):
"Der Ruhrkampf als völkische Erweckung. Edwin Erich Dwingers Roman 'Der Glaube an Deutschland' und Erlebnisschilderungen von Freikorpskämpfern über den 'Grenzkampf im Westen'"

Dr. Ralf Georg Czapla (Heidelberg):
"Das Ruhrgebiet. Zur literarischen Profilierung einer Landschaft in Anthologien deutscher Arbeiter- und Industriedichtung seit der Weimarer Republik, Teil I"
"Das Ruhrgebiet. Zur literarischen Profilierung einer Landschaft in Anthologien deutscher Arbeiter- und Industriedichtung seit der Weimarer Republik, Teil II"

Prof. Dr. Günter Häntzschel (München):
"Das industrielle Ruhrgebiet in der Lyrik"

Markus Wiefarn (München):
"Der blinde Fleck der BRD. Zur Problematik der literarischen und politischen Repräsentation in Erika Runges 'Bottroper Protokollen'"

Dr. Dirk Hallenberger (Essen):
"Jürgen Lodemann oder wie das Ruhrdeutsch in die Literatur kam, Teil I"
"Jürgen Lodemann oder wie das Ruhrdeutsch in die Literatur kam, Teil II"


Prof. Dr. Gerhard Rupp, Esther Treude, Jens Boelmann (Bochum):
"Literatur als Indikator des Strukturwandels im Ruhrgebiet, Teil I"
"Literatur als Indikator des Strukturwandels im Ruhrgebiet, Teil II"

Prof. Dr. Werner Jung (Duisburg-Essen):
"'Vom Frühling irrer Hoffnung zum Herbst der Erinnerung' - Lieben, Arbeiten und Kämpfen bei Erasmus Schöfer"

Oliver Ruf (Trier):
"Milieu - Schwelle - Ausnahme. Zur Literalität des Ruhrgebiets im deutschen Gegenwartsroman, Teil I"
"Milieu - Schwelle - Ausnahme. Zur Literalität des Ruhrgebiets im deutschen Gegenwartsroman, Teil II"

Jasmin Grande M.A. (Düsseldorf):
"Hüsers Kulturpolitik im Kontext der Gewerkschaftsstrukturen"