Literaturlandschaft Ruhrgebiet

Von der Städtestadt zur Metropole Ruhr, von der Industriekultur zur Kulturindustrie. Das Ruhrgebiet ist spannend. Erleben Sie mit mir den Wandel und die literarische Vielfalt in ausgesuchten Hör- und Videobeiträgen. Hier finden Sie zudem Kommentare und Kurzbiografien der beteiligten Personen, Informationen zum REVIERCAST-Projekt, Verweise auf verwandte Projekte sowie aktuelle Nachrichten aus der Literaturszene im Revier.

Viel Vergnügen beim Stöbern ...

Karl-Heinz Gajewsky

"Inzwischen habe ich mir Ihre Website angesehen, das ist ja ein Opus magnum, an dem Sie da arbeiten, die literarische Kartographierung des Ruhrgebiets, großartig, und mich haben Sie damit in beste Gesellschaft aufgenommen."

Andreas Rossmann, FAZ

Aus dem Archiv - "Lesezeichen" - zum 75. Geburtstag von Hugo Ernst Käufer. Ein Beitrag von H. Peter Rose

Rede zur Buchvorstellung am 28. Februar 2002
in der Buchhandlung Lothar Junius, Gelsenkirchen
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 „Gottfried Benn starb auf dem Höhepunkt seines Lebens im biblischen Alter“. Diesen Satz schrieb Hugo Ernst Käufer 1956 in einem Gedenkwort für den im Alter von 70 Jahren verstorbenen großen deutschen Lyriker. Er selbst war da gerade mal 29. Vor zwei Wochen hat Hugo Ernst Käufer sein 75. Lebensjahr vollendet und damit das „biblische Alter“ von Gottfried Benn schon um 5 Jahre übertroffen. Alles ist eben relativ, eine Frage der Zeit und des eigenen Standpunktes. Darauf kommt es an. Ich gratuliere herzlich zum Geburtstag und wünsche, gerade auch im Wissen um mancherlei gesundheitliche Probleme des Alters, für das neue Lebensjahr alles Gute.

Hugo Ernst Käufers Leben ist geprägt von Büchern und Texten, von Lesen und Schreiben. Seit 1945, als er bei der Stadt Witten in den Verwaltungsdienst eintrat und dabei auch die Stadtbücherei kennenlernte, wurde ihm seine Liebe zur Literatur mehr und mehr zum Beruf. Er bildete sich stetig und beharrlich fort. Nebenberuflich schrieb er Gedichte und mischte sich mit Veröffentlichungen und Vorträgen im „Literaturkampf“ ein. 1957 legte er das Examen als Diplom-Bibliothekar ab. Danach arbeitete er knapp 10 Jahre als Referent an der Stadtbücherei Bochum und wechselte 1966 in die Stadtbücherei nach Gelsenkirchen auf die Stelle eines Lektors und Stellvertretenden Büchereidirektors. Hier konnte er sich als Büchereifachmann praktisch bewähren und sich als Vertreter und Förderer einer engagierten gesellschaftskritischen Literatur entfalten. Er war Mitbegründer der „Literarischen Werkstatt“ und des „Werkkreises Literatur der Arbeitswelt“, wurde Mitglied im Internationalen PEN-Club. wie Sein Sachverstand war in überörtlichen Fachgremien ebenso wie in Jurys für namhafte Literaturpreise gefragt.

Als ich Ende 1975 nach Gelsenkirchen kam, hatte ich für Theater und Orchester sowie für die neuerrichtete Musikschule qualifizierte Leitungskräfte nicht nur zu suchen, sondern auch zu finden. Das war keine leichte Aufgabe; denn auch damals schon war für große Sprünge in der Kultur das nötige Geld nicht vorhanden. Als dann in der Stadtbücherei durch den Tod von Dr. Karl Hotze die Stelle des Direktors vakant wurde und ernsthaft über eine Besetzung von außen nachgedacht wurde, konnte ich 1977 meinen Favoriten Hugo Ernst Käufer vor allem deshalb durchsetzen, weil damit per Saldo eine Stelle eingespart werden konnte und weil er sich nicht nur als Vertreter von Dr. Hotze in der originären Büchereiarbeit bewährt hatte, sondern weil es ihm auch über die „Literarische Werkstatt“ gelungen war, in der Stadt eine literarische Szene aufzubauen, an der auch die Volkshochschule beteiligt war und im übrigen immer noch ist. Zehn Jahre hat Hugo Ernst Käufer dann die Stadtbücherei in Gelsenkirchen geleitet. Heute vor 15 Jahren, am 28. Februar 1987 beendete er seinen aktiven bibliothekarischen Dienst. Auf dem literarischen Felde ist er seitdem jedoch als Autor und Herausgeber aktiv geblieben. Zwar hat er, wie es in einem seiner Gedichte heißt, „den Gipfel des Berges schon längst überschritten“, setzt „zögernder den Fuß zu Tal“ und spürt „leichter im Gepäck die Hoffnungen, Erwartungen und Wünsche. Aber die Erinnerungen werden geselliger von Abstieg zu Abstieg“. Erinnerungen und Reflexionen sind der Inhalt des Buches, das Hugo Ernst Käufer sich selbst zu seinem 75. Geburtstag geschenkt hat und zu dessen Lektüre Sie eingeladen sind. Aus mehr als vierhundert Essays, Reden und Rezensionen, die der Autor in den letzten fünfzig Jahren geschrieben hat, wurden knapp vierzig charakteristische Beispiele für seine Einlassungen mit Literatur, Kunst und Gesellschaft ausgewählt und als zeitlich durchgehendes Lesebuch geordnet. Der Titel – „Lesezeichen“ – ist mit Bedacht gewählt. Denn Hugo Ernst Käufer will mit seinen Texten Zeichen setzen – zum Erinnern, zum Merken, zum Verändern. Er bezieht in all seinen Beiträgen Position, wie z.B. in „Georg Weerth – der erste Dichter der deutschen Arbeiterbewegung“ (1956), wenn er mit dessen Worten bekennt, „dass das geschriebene Wort die Fähigkeit besitzt, die Unruhe wachzuhalten und die Verneinung des Bestehenden zu vollziehen“. Denn Hugo Ernst Käufer weiß mit Georg Christoph Lichtenberg: „Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“ Die „Lesezeichen“ wollen uns mit Autoren bekannt machen und uns deren Werke näher bringen oder wieder in Erinnerung rufen. Sie wollen unsere Neugier wecken und unseren Lese-Appetit anregen. Dabei werfen sie Fragen auf, wie es mir erging, als ich in dem Essay über „Das erzählende Werk Heinrich Bölls“ (1963) in dem Abschnitt „Der Irrsinn des Krieges“ die Zeilen las „Langeweile und Eintönigkeit, die Einsicht, dass alles sinnlos ist, dass von der vielfach gepriesenen Freiheit des Menschen ...nichts übriggeblieben ist, dass Masseninstinkt und Roheit die Stunde bestimmen...“. Ich habe spontan am Rand notiert: „Arbeitslosigkeit – der Irrsinn im Frieden...?“ Denn auch der Frieden hat seine – allerdings subtilen – Grausamkeiten. Anregend und erkenntnisreich ist der Aufsatz „Novalis – Vorbote Europas“ (1955). Durch die Diskussion um die Osterweiterung der Europäischen Union und angesichts der wachsenden Spannungen zwischen Europa und den USA ist er hochaktuell. Vor 200 Jahren schrieb Novalis bezogen auf das Europa vor und nach der Reformation: „Alte und neue Welt sind im Kampf begriffen, die Mangelhaftigkeit und Dürftigkeit der bisherigen Staatseinrichtungen sind in furchtbaren Phänomenen offenbar geworden.“ Hugo Ernst Käufer nannte diese Worte vor 47 Jahren „geradezu modern und prophetisch“. Sie treffen auch heute „auf unsere unmittelbare Gegenwart“ wieder zu.

Nun ist der 75. Geburtstag von Hugo Ernst Käufer kein Anlass, ihn zum Propheten zu machen. Das würde ihm und seiner Arbeit nicht gerecht. Er ist vielmehr ein sorgfältiger und kritischer Beobachter seiner Zeit und ein ebenso aufmerksamer wie skeptischer Leser von Texten aller Art. Mit „Lesezeichen“ gibt er öffentlich Rechenschaft über sich und „seine Zeit“, also über 50 Jahre literarischer Arbeit. Aber es sind nicht nur die Lesestücke, sondern auch die umfangreiche hundertseitige Bibliographie, die Klaus Scheibe von der Gelsenkirchener Stadtbücherei bearbeitet hat, vermitteln einen Gesamteindruck von Umfang, Bandbreite und Profil der literarischen Aktivitäten von Hugo Ernst Käufer.

Hugo Ernst Käufer hat „seine Lesezeichen“ gesetzt. Wir können uns daran orientieren, abarbeiten oder wie Brechts lesender Arbeiter dazu unsere eigenen Fragen stellen. Mehrere „Lesezeichen“ haben selbstverständlich auch mit Gelsenkirchen und seiner Literaturszene zu tun. Das war kein leichtes Spiel. Künstler und Literaten sind in der Regel Einzelkämpfer, Individualisten und deshalb nicht pflegeleicht. Das konnte Käufer nicht schrecken (und mich übrigens auch nicht). Wir wussten beide zwischen Talent und Charakter zu unterscheiden. So hat er unermüdlich Schreib-Talente aufgespürt, gefördert und dafür gesorgt, dass ihre Texte auch gedruckt wurden, vor allem in Anthologien die er initiiert und oft selbst als Herausgeber betreut hat. Wir haben ihm für die Literatur- und Leseförderung in der Stadt und darüber hinaus viel zu verdanken; denn wir wussten um die Bedeutung des Lesens schon lange vor PISA. Er hat in Gelsenkirchen wieder angeknüpft an eine Literaturtradition, die Otto Wohlgemuth schon in den zwanziger Jahren begründet hatte. Wohlgemuth, der bis 1933 Leiter der Stadtbücherei war, kommt das Verdienst zu, mit dem „Ruhrlandkreis“ der Industrieliteratur über Gelsenkirchen und das Ruhrrevier hinaus Beachtung verschafft zu haben.

Der Name Wohlgemuth wäre nun ein Stichwort für persönlich-regionale Reminiszenzen. Das würde allerdings zu weit führen. Denn Käufer, Wohlgemuth und Rose sind gleichsam „Ruhrpiraten“ aus Witten und Hattingen, oder – wie man in dieser Gegend auch sagt – eine „ganz besondere Sorte Mäuse“. Auch Karl Garbe und Paul Karalus aus Witten-Annen gehören, die mir persönlich aus Bonner Zeiten bestens bekannt sind. Dem Freund Paul Karalus ist das letzte „Lesezeichen“ gewidmet. Seit sie sich Ende 1948 kennenlernten, ist eine „Pech- und Schwefel“-Freundschaft entstanden. Sie reflektierten die eigenen Erfahrungen der schrecklichen Nazi- und Kriegszeit und träumten von Frieden und Demokratie. Aber sie träumten nicht nur, sie kämpften und stritten auch für ihre Ideale und Ideen: Aufklären, sagen was ist und die Sisyphus-Arbeit wider das Vergessen leisten. Jeder tat es auf seine Art und Weise mit Film oder Feder, mit Wort oder Bild. Diese Freundschaft hat gehalten ein Leben lang, bis Paul Karalus vor zwei Jahren starb. 

„Lesezeichen“ ist ein Merk- und Erinnerungsbuch. Die Lektüre wirkt nach und weiter. Wie? – das lässt sich vielleicht mit einem ganz kleinen Gedicht des großen Aufklärers Gotthold Ephraim Lessing zusammenfassen und auf den Punkt bringen:

Gestern liebt ich,
Heute leid ich,
Morgen sterb ich:
Dennoch denk ich
Heut und morgen
Gern an gestern.

Das DENNOCH ist es.

 Lieber Hugo Ernst Käufer. Mögen Sie als nun 75-Jähriger auch weiterhin Ihre Energie aus dem Strom gewinnen, gegen den Sie immer geschwommen sind. Aber: lassen Sie sich – wie die „Ruhrpiraten“ in der Strömung der Ruhr – auch treiben im großen Strom der Geschichte. Denn so entstehen heute und morgen neue Geschichten.

Und jetzt haben Sie das Wort zur Lesung.

Wettbewerb zum "Literaturpreis Ruhr 2015" ausgeschrieben

Der Literaturpreis Ruhr ist mit seiner jährlichen Preissumme von 15.110 Euro (10.000 Euro für den Hauptpreis, je 2.555 Euro für die beiden Förderpreise) die wichtigste Auszeichnung für Autorinnen, Autoren, Kritiker und Verleger aus dem Ruhrgebiet sowie für Schriftsteller, die über diese Stadtlandschaft schreiben.

Bereits seit 1986 vergeben der Regionalverband Ruhr und das Literaturbüro Ruhr e.V. jährlich diesen Preis für Literatur. Während mit dem Hauptpreis des Literaturpreises Ruhr die Preisträger für ihr literarisches, literaturkritisches, literaturwissenschaftliches oder verlegerisches Werk ausgezeichnet werden, gehen die beiden Förderpreise an den literarischen Nachwuchs, der sich mit unveröffentlichten Texten selbst bewerben muss. Mit der ansehnlichen Liste der Preisträger des Literaturpreises Ruhr - von Max von der Grün bis zu Michael Klaus, von Liselotte Rauner und Ralf Rothmann zu Brigitte Kronauer, von Ralf Thenior, Frank Goosen und Marion Poschmann zu Norbert Wehr, Fritz Eckenga oder Harald Hartung - steigt seine Bedeutung von Jahr zu Jahr.

Die Förderpreise 2015 werden ausgeschrieben zum Thema "Doppelleben" - ein Wort, in dem ganze Romane mitschwingen. Gefragt sind aber Texte von maximal zehn Normseiten Länge, deren Plots und Figuren auf höchst unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sein können: von der Agentenexistenz in Politik und Industrie bis hin zu bürgerlicher Heimlichkeit oder den kläglichen Versuchen von Süchtigen aller Art, ein "normales" Leben vorzuspielen. Über "Doppelleben" zu schreiben, das kann aber auch bedeuten, Schatten- und Spiegelbilder des Lebens hervortreten zu lassen - oder eine Fülle, die es wie doppelt wirken lässt.

Der Einsendeschluss für Vorschläge zum Hauptpreis und für Bewerbungen um die Förderpreise ist der 19. Juni 2015. Zusendung der Ausschreibung in der Druckversion: Literaturbüro, Tel.: 02043-992644. Die vollständige Ausschreibung kann übers Internet unter der Adresse http://www.literaturbuero-ruhr.de abgerufen werden.

Mit freundlichen Grüßen Gerd Herholz 
Wissenschaftlicher Leiter Literaturbüro Ruhr e.V.
Friedrich-Ebert-Str. 8
45964 Gladbeck
Tel.: (0049)(0)2043 992 168
www.literaturbuero-ruhr.de http://de-de.facebook.com/LiteraturbueroRuhr