Literaturlandschaft Ruhrgebiet

Von der Städtestadt zur Metropole Ruhr, von der Industriekultur zur Kulturindustrie. Das Ruhrgebiet ist spannend. Erleben Sie mit mir den Wandel und die literarische Vielfalt in ausgesuchten Hör- und Videobeiträgen. Hier finden Sie zudem Kommentare und Kurzbiografien der beteiligten Personen, Informationen zum REVIERCAST-Projekt, Verweise auf verwandte Projekte sowie aktuelle Nachrichten aus der Literaturszene im Revier.

Viel Vergnügen beim Stöbern ...

Karl-Heinz Gajewsky

"Inzwischen habe ich mir Ihre Website angesehen, das ist ja ein Opus magnum, an dem Sie da arbeiten, die literarische Kartographierung des Ruhrgebiets, großartig, und mich haben Sie damit in beste Gesellschaft aufgenommen."

Andreas Rossmann, FAZ

Kooperation mit dem Studiengang Literatur- und Medienpraxis

Reviercast kooperiert mit der Universität Duisburg-Essen, Studiengang Literatur- und Medienpraxis. Die Universität wird von folgenden Partnern und Medieninstitutionen unterstützt:

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Zeitungen und Magazine (regional)
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Bibliotheken, Literaturmuseen und -archive
Fritz-Hüser-Institut für Kultur und Literatur der Arbeitswelt (Dortmund)
Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg e.V. (Sulzbach-Rosenberg)
Stadtbibliothek Essen (Essen)

7. deutsch-türkischen Buchmesse RUHR 2011 „1001 Nachtschichten – 50 Jahre türkische Einwanderung“

1961 brachen die türkischen Gastarbeiter auf nach Deutschland, als am 31. Oktober das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei geschlossen wurde. Nur das Nötigste in einen Koffer gepackt, kamen sie ins ferne Almanya, denn sie hatten gar nicht vor für immer zu bleiben – damals, vor 50 Jahren. Was nun vor einem halben Jahrhundert als „mobile Reservearmee“ angelegt war, die Engpässe ausgleichen sollte ohne dabei das deutsche Sozialsystem dauerhaft zu belasten, entwickelte sich bald schon in eine Vielzahl von Dauergästen. Mittlerweile leben drei Millionen türkischstämmige Migranten in Deutschland – Grund genug die diesjährige Buchmesse RUHR vom 14. bis 23. Oktober unter dem Motto „1001 Nachtschichten – 50 Jahre türkische Einwanderung“ zu veranstalten.

So wird auch dieser Herbst ganz im Zeichen der türkischen und türkischdeutschen Literatur stehen. Wie empfanden damals die Gastarbeiter ihre Entfernung zur Heimat? Wie verarbeiteten sie die Probleme in der neuen Umgebung? Hat sich nach 50 Jahren deutsch-türkischen Zusammenlebens ein gemeinsamer Alltag entwickelt? All dies und noch viele weitere Fragen sollen auf der Buchmesse literarisch nachempfunden und ausdiskutiert werden.

Die Buchmesse RUHR präsentiert neben einer großen Bücherausstellung in türkischer und deutscher Sprache auch ein sehr buntes und vielversprechendes Literaturprogramm. In elf Städten des Ruhrgebiets werden insgesamt 45 Veranstaltungen und Ausstellungen an 36 verschiedenen Orten stattfinden.
www.buchmesse-ruhr.de

Die Arbeit in der Literatur: von „schwerer Arbeit“ zu „Schöner Arbeiten“

Vortrag von Hanneliese Palm, Fritz-Hüser-Institut Dortmund, am 26.09.2011, 19:30 Uhr, "die flora", Gelsenkirchen. Vom 18.09. - 30.10.2011 wird parallel die Ausstellung "Aus unserem Leben in die Freiheit - Lisa Tetzner und Kurt Kläber/Held: Leben und Werk" in der Flora gezeigt.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nimmt die Literatur sich der Themen der Arbeit und dem Arbeitsalltag an: bei der Heroisierung der Arbeit, zur Selbstreferenz der Arbeitenden, als Aufruf zur Solidarität oder als Propaganda gegen unwürdige Arbeitsbedingungen. Dabei wird der „Blick von außen“ ergänzt durch sich entwickelnde Literaturszenen aus der Arbeiterschaft selbst mit höchst unterschiedlichem literarischem Anspruch. Nach dem Zweiten Weltkrieg muss die Arbeitswelt von der Literatur erst (wieder-)entdeckt werden. In der Gegenwart steht „Arbeit“ längst für viel mehr als nur Industrie- und Büroarbeit. Mit konkreten Beispielen von Heinrich Heine bis Willy Bredel, von Max von der Grün bis Kristof Magnusson spürt der Vortrag diesen Wandlungen nach.

Hanneliese Palm ist Leiterin des Fritz-Hüser-Instituts der Stadt Dortmund. Das Fritz-Hüser-Institut ist das einzige wissenschaftliche Institut in Europa, das Quellen und Dokumente zur Literatur- und Kulturgeschichte der Arbeitswelt sammelt, erforscht und darstellt. Es verfügt über eine der größten Sammlungen zur Arbeiterkulturbewegung mit Bibliothek und Archiv aus der Zeit von 1848 bis heute mit Monografien und z. T. sehr seltenen Zeitschriften, Nachlässen, Kunst- und Mediensammlungen, insbesondere Grafiken und Fotos.

Für das Ruhrgebiet besonders interessant ist zum einen der Aufenthalt Kurt Kläbers von Ende 1920 bis Sommer 1923. In dieser Zeit arbeitete er als Bergmann auf der Zeche Centrum in Wattenscheid und war in der Arbeiterbildungs- und Arbeiterliteraturszene sehr aktiv. Seine Erfahrungen aus dieser Zeit flossen in mehrere Romane und Erzählungen (z. B.: „Barrikaden an der Ruhr“, 1925) ein. Zum anderen kam Lisa Tetzner wiederholt als Märchenerzählerin zu Vorträgen ins Ruhrgebiet. Ihre Eindrücke über „Das Land der Industrie zwischen Rhein und Ruhr“ schilderte sie in ihrem gleichnamigen, 1923 veröffentlichten Buch. Ihre späteren Aktivitäten im Ruhrgebiet sind u. a. dokumentiert in der Kulturzeitschrift „Der Schacht“, die in den 1920er Jahren in Bochum von Fritz Wortelmann, dem späteren FIDENA-Gründer, herausgegeben wurde.
Anhand von Text-Bild-Tafeln, ausgewählten Originaldokumenten, Exponaten aus dem Nachlass, umfangreicher Literaturpräsentation sowie Originaltonaufnahmen zeigt die Ausstellung die Lebenswege von Lisa Tetzner und Kurt Kläber auf.

Verleihung des Ernst Meister-Preises für Lyrik 2011

Der Ernst Meister-Preis für Lyrik 2011 wird Marion Poschmann für ihren Lyrikband „Geistersehen“ 2010, zuerkannt. Die Jury zeichnet die Autorin für die „sinnliche Präsenz ihrer Gedichte und die ausgewogene Balance von Aura und Verständlichkeit aus. In ihren Texten zeigt sich die hohe Kunst der Identität von Dichten und Denken.“
Marion Poschmann, 1969 in Essen geboren, ist Trägerin zahlreicher Literaturpreise, so erhielt sie in 2011 den renommierten Peter Huchel-Preis, den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen 2007 und den Literatur- preis Ruhr 2005.
Westfälischer Förderpreis 2011: Jan Skudlarek
1986 in Hamm geboren, lebt in Münster.
Thalia Förderpreis 2011: Daniela Seel
1974 in Frankfurt a.M. geboren, lebt in Berlin.

Samstag, 3.9. 2011, 18.00 Uhr
Kunstquartier, Museumsplatz 3, 58095 Hagen
Die Preise werden durch den Oberbürgermeister der Stadt Hagen, Herrn Jörg Dehm, verliehen.

Grußwort: Dr. Barbara Rüschoff-Thale, LWL-Kulturdezernentin
Laudatio: Dr. Susanne Schulte, GWK
Moderation: Claudia Belemann, WDR
Musik: Bino Dola Trio mit Bino Dola und Juan Lama

Klaus-Peter Wolf: Die literarischen Anfänge in Gelsenkirchen

Zu meinen frühen Förderern und Gesprächspartnern zählte der Autor Philipp Wiebe, der mit bürgerlichem Namen Ernst-Adolf Kunz hieß. Gemeinsam mit seiner Frau Gunhild betrieb er die Agentur Ruhr-Story. Sie vertraten Autoren wie Heinrich Böll, Siegfried Lenz. Josef Reding, Wolfdietrich Schnurre und Paul Schallück. Eine Weile hatte auch ich das Glück, zu den Autoren zu zählen, von denen sie Kurzgeschichten an Tageszeitungen verkauften.
Philipp Wiebe schrieb das Drehbuch zu »So zärtlich war Suleyken« nach Erzählungen von Siegfried Lenz. Nach seinem Tod erschien von ihm: »Die Hoffnung ist wie ein wildes Tier. Der Briefwechsel zwischen Heinrich Böll und Ernst-Adolf Kunz«.
Er schrieb wundervolle Kurzgeschichten. Er war ein Einzelgänger und hasste Gruppen. Auch die Literarische Werkstatt Gelsenkirchen war ihm suspekt. Aber er lud mich und meine Freundin Mary in den Siebzigern gern zu sich ein und erzählte uns Geschichten (und das konnte er wahrlich).
Er nahm junge Autoren sehr ernst. Ich verließ sein Haus immer mit einem Stapel Bücher unterm Arm. Er fand, ich müsse die unbedingt lesen und beim nächsten Besuch wurde ich streng examiniert, ob ich auch alles gelesen und verstanden hatte. Dagegen war eine Deutschstunde am Grillo-Gymnasium nur ein Schiss.

Hugo Ernst Käufer
KP Wolf: »Eigentlich, so gestand Hugo-Ernst mir mal nach ein paar Glas Wein, wollte er lieber Museumsdirektor werden und große Ausstellungen organisieren. Aber dann wurde er nur Direktor der Stadtbücherei. Er sagte das mit einem Augenzwinkern. Welches Glück für unsere Stadt«, dachte ich damals.
Er hat Kunst und Künstler vorbildhaft gefördert und unterstützt. »Meine Tür ist immer offen für Dich«, hat er mir einst gesagt. Da war ich Schüler und gab eine radikale Schülerzeitung heraus, (Der Weg) die am Grillo Gymnasium heftigen Repressalien ausgesetzt war. So musste ich jede Nummer vorlegen, bevor sie in den Druck ging. Erst wenn ich Genehmigung der Schulleitung hatte, durfte die Zeitung verkauft werden. Das war nicht immer einfach. Da stießen schon mal Welten aufeinander. Natürlich bekam ich von Hugo Gedichte, die ich drucken durfte.
Als ich Geschäftsführer im Literarischen Verlag war, half er mit einer Bürgschaft und mit guten Kontakten. Von ihm bekam ich das erste Honorar meines Lebens für eine Lesung. 50 DM. Ein Vermögen, das ich damals in Porto steckte um meine Geschichten an Zeitungen verschicken zu können.
Wenn er selbst vorlas, dann meist mit riesigen Buchstaben beschriebene Zettel, denn die Brillengläser waren zwar dick, reichten aber nie aus.
Hugo Ernst Käufer schreibt noch immer. Der Maler und Holzschneider Gölzenleuchter wird in seiner Edition Wort und Bild bald einen neuen Band mit Hugo Ernst Käufer Gedichten herausbringen – und das ist doch mal eine gute Nachricht.

Hans-Jörg Loskill
H.-J. Loskill hat eine Menge Verdienste, das sollte nicht vergessen werden – er hat der Gelsenkirchener Kunstszene oft großen Raum gegeben. Er hat nie vernichtende Urteile gefällt (zumindest nicht, solange ich seine Arbeit beobachtet habe). Er hat den Talenten in der WAZ oft breiten Raum eingeräumt und ein Forum gegeben. Ich weiß keine Lokalzeitung, die so viel über Kultur berichtet hat. Das ist sicherlich auch sein Verdienst. Als ich ein junger Autor in Gelsenkirchen war habe ich ihn als sehr unterstützend erlebt.

Richard Limpert
Ich mochte Richard Limpert. Er war eine ehrliche Haut und stand im entscheidenden Moment immer auf der richtigen Seite. Erich Trepmils Geschichte war seine eigene. (erschienen in zwei Bänden im Asso Verlag) Trepmil heißt Limpert rückwärts gelesen. Richard wollte noch wirklich etwas. Für ihn war Kunst weder Selbstbefriedigung noch Broterwerb. Er glaubte an die bewusstseinsverändernde Wirkung von Texten. Auf Flugblättern waren sie ihm lieber als im Poesiealbum.
Er sprach laut und deutlich. Er sagte nicht »freie Marktwirtschaft«. Er sagte: »Kapitalismus«.
Ich erinnere mich an eine gemeinsame Lesung auf einem Marktplatz. Ich glaube, es war in Marl. Max von der Grün war dabei und Josef Büscher natürlich. Ich war noch Schüler und konnte mir nicht vorstellen neben Fischverkäufern und einem Obststand eine Geschichte vorzulesen. Aber dann machte Richard den Anfang mit einem Megafon. Er las tatsächlich Gedichte vor und es blieben Leute stehen. Einige kauften später sogar Bücher. Max las ganz ruhig eine Geschichte. Fast zwanzig Minuten lang und eine große Menschentraube hörte zu. Dann kam ich dran mit zitternden Knien. Als ich fertig war klopfte Richard mir auf die Schulter. »Hasse toffte gemacht!« sagte er. »Willz noch n Pilz?« Ja, wollte ich und Max und Josef Büscher kamen auch mit.

Heinrich Maria Denneborg
Heinrich Maria Denneborg gehörte auch dazu. Er wurde in Gelsenkirchen geboren und wohnte lange im Halfmannshof. Er war Puppenspieler und Autor von Kinderbüchern, die in zig Sprachen übersetzt wurden. Er hat unter anderem den Deutschen Jugendliteraturpreis bekommen für »Jan und das Wildpferd«. Er hat die halbe Welt für das Goethe Institut bereist und aus seinen Büchern vorgelesen. Von vielen wurde er belächelt wegen seiner altväterlichen Art und weil Puppenspieler nicht immer zur künstlerischen Avantgarde gehörten. Das hat sich später geändert, als Hugo Ernst Käufer im Bildungszentrum – damals noch Bildungsbunker genannt – Autoren und Puppenspieler zusammenführte, weil es seiner Meinung nach wichtig war, dass »die gute Stücke bekommen«, und die Autoren der Literarischen Werkstatt Gelsenkirchen sollten sie schreiben. Ich war bei dem Treffen dabei. Erst erschien es mir befremdlich, doch dann wurde es ganz witzig.
Gemeinsam mit Jürgen Wittershagen schrieb ich für das Puppentheater Kieselstein das Stück: »Wir tragen immer unsere Nasen vorn und laufen hinterdrein.« Die Kieselsteins machten die Puppen selbst. Denneborg war ein Held für sie. Ich begann ihn erst dadurch zu schätzen und mich mit seinem Werk zu befassen. Es gab auch viele kritische Töne gegen ihn, weil er mit seinen Puppen wohl im Krieg die Frontsoldaten aufgemuntert hat. Er hat das aber nie verschwiegen. Ich stelle es mir auch nicht ganz witzig vor, mitten im Faschismus umringt von »deutschem Heldentum« als freier Puppenspieler zu überleben. Er hat es irgendwie hingekriegt. Er starb 87.

Wolfgang Körner
Zwar nicht aus Gelsenkirchen aber doch auf jeder Party dabei war Wolfgang Körner aus Dortmund. Wir hingen eben alle mehr oder weniger zusammen. So verfilmte Rainer Horbelt zwei Drehbücher von Wolfgang Körner fürs Fernsehen. Er war auch bei den Lesungen der LWG ein gern gesehener Gast. Er schrieb später viele Folgen der Serie »Büro, Büro«, die immer noch mal gerne in den dritten Programmen wiederholt wird. Zwanzig Jahre lang schrieb er in der Fachzeitschrift Buchmarkt eine monatliche Kolumne und machte damit das oft trockene Blatt saftig. Seine als Sachbücher verpackten Satiren wie »der einzig wahre Opernführer« »der einzig wahre Managerberater« »der einzig wahre Anlagenberater« waren Renner.

Als ich blöd genug war, für eine Weile die Geschäftsführung des Literarischen Verlages Braun zu übernehmen, wurde ich auch sein Verleger, worüber er heute noch grinst. Der Roman »Zeit mit Michael« erschien bei uns und nach dem wir Konkurs waren druckte erst Fischer das Buch nach, dann Rowohlt. Woran man vielleicht sieht, dass wir nicht irgendwelchen Scheiß gedruckt haben, sondern schon zu den Literarischen Trüffelschweinen zählten und viele Entdeckungen machten, von denen später die großen Häuser profitierten. Zum Beispiel erschien bei uns das Gesamtwerk der Lyrikerin Rose Ausländer, die damals in einem Düsseldorfer Altersheim lebte und vergessen war. (später dtv und Fischer) Beim Literarischen Verlag hat sich viel von der LWG Szene gesammelt. Horbelts »Schigolett« erschien dort. Gedichte von Hugo Ernst Käufer natürlich und Frank Göhre durfte auch nicht fehlen. Ich selbst brachte dort meine erste Kurzgeschichtensammlung heraus und den Roman »Dosenbier und Frikadellen«. Nach dem Zusammenbruch des Verlages war der Roman in zig Auflagen bei Rowohlt, im Bertelsmann Lesering und bei der Büchergilde Gutenberg. Hugo Ernst Käufer und H.J. Loskill brachten dort den Sammelband »Sie schreiben in Gelsenkirchen« heraus in dem sich neben alten Hasen auch viele junge Talente vorstellen konnten.

Nach dem ich Konkurs anmelden musste – und auf mich eine wahrlich schwere Zeit zukam – ist der Kontakt zu den alten Freunden der Literarischen Werkstatt nicht abgebrochen. Manchmal schien es mir, als ob sie einzigen gewesen wären, die keine Anzeigen gegen mich erstattet hatten oder hinter mir her pfändeten. Wir duzen uns immer noch obwohl ich den Verlag, auf den sie alle so große Hoffnungen gesetzt hatten, gegen die Wand gefahren habe. Auch daran sieht man vielleicht, dass da untereinander – über alle Unterschiede und Konflikte hinweg – ein freundschaftlicher Geist herrschte.



Literarische Werkstatt Gelsenkirchen

Josef Büscher
Josef Büscher war sehr wichtig für die Stadt Gelsenkirchen und seiner Schreibschule verdanken viele junge Autoren eine Menge.

Zu den Gästen der LWG, die uns kollegial verbunden waren, gehörten auch Josef Reding, (lange Zeit Vorsitzender des Schriftstellerverbandes NRW), Volker W. Degener (sein Nachfolger) und Max von der Grün. Als der verzweifelte Max von der Grün mit seinem Roman nicht weiterkam, fuhr er zu Josef Büscher, der sich wie immer mit Engelsgeduld, bei kreativen Problemen oder Schreibblokaden endlos Zeit für seine Schriftstellerfreunde nahm. Ich war ebenfalls mit Schreibproblemen im Hause Büscher.

Natürlich ließ ich dem großen, von mir bewunderten Max von der Grün den Vorrang. Tante Waltraut (so wurde sie von vielen genannt) kochte mir einen Tee und tröstete mich über die Wartezeit hinweg. Ich will nicht behaupten, dass Josef Max die entscheidenden Stellen diktiert hat, aber es hörte sich für mich fast so an. Das klingt heute komisch, aber so war das damals, man diskutierte die Texte miteinander vor der Veröffentlichung heftig. Dadurch veränderten sich Texte. Meist wurden sie besser. Die LWG war in dem Sinne wirklich eine Werkstatt in der der Werkstattgedanke auch hoch gehalten wurde.

Meine erste Kurzgeschichte wurde an einem Abend in einem fast chirurgischen Eingriff um zwei Seiten gekürzt. Das tat der Geschichte gut. Beteiligt an den Kürzungen waren Josef Büscher und Detlef Marwig, der praktisch jedes Adjektiv aus dem Text warf und Sätze die mehr als fünf Worte hatten, waren seiner Meinung nach sowieso zu lang. Er liebte die literarische Verknappung. Nicht alle Autoren hielten es aus, ihre Texte so zu diskutieren. Einige schreckte das auch ab. Sie kamen nie wieder, fühlten sich angegriffen und fertiggemacht. Für mich war es eine harte aber sehr, sehr gute Schule. Oft wenn ich mit einem Drehbuch sieben oder acht Leuten gegenübersaß, die daran herumnörgelten, (dem Produzenten war es zu teuer, dem einen Redakteur zu links, dem anderen zu unpolitisch, dem Regisseur zu verquatscht, dem Hauptdarsteller fehlten die Großaufnahmen), dachte ich an die Werkstattgespräche zurück und begann mich durchzusetzen.

Ich hatte ja das große Glück in der Aufbruchstimmung der Literarischen Werkstatt Gelsenkirchen mit dabei sein zu dürfen. Da waren Lesungen große gesellschaftliche Ereignisse. Meist reichten die Stühle nicht. Die Zuhörer waren eine Stunde vor Beginn da, um gute Plätze zu bekommen. Es wurde heftig diskutiert. Da rannte auch schon mal ein so kritisierter Autor heulend raus, oder zerriss seine Texte. Da wurden Fragen nach der politischen Relevanz von poetischen Texten gestellt und so mancher junge Autor fand sich nicht im Elfenbeinturm wieder, sondern auf dem »heißen Stuhl«.
Hugo Ernst Käufer, der Lyriker und Bibliothekar, war das Herz des Ganzen. Er ließ die Szene um sich rotieren.
Josef Büscher leitete die »Schreibschule«, die zur LWG gehörte, und warf jeden raus, der glaubte, hier könne man seine Deutschnoten verbessern. Nachhilfestunden waren das nicht! Zumindest nicht für schlechte Schüler.
Später übernahm Monika Kummerhoff die Schreibschule für eine Weile, und hat dort wahrlich gute Arbeit geleistet. Aber ohne das Kraftzentrum eines Hugo Ernst Käufer war sie chancenlos.
Die Literarische Szene in Gelsenkirchen zog auch viele Künstler an, die nicht in Gelsenkirchen wohnten. Frank Göhre – der später neben seinen Krimis – auch viele Tatorte schrieb, war oft dabei, der Holzschneider Horst Dieter Gölzenleuchter, ja sogar HAP Grieshaber unterstützte die Arbeit von Hugo Ernst mit Malerbriefen von der schwäbischen Alp. Manche Bücher konnten nur erscheinen, weil Grieshaber oder Gölzenleuchter Originalarbeiten für Vorzugsausgaben stifteten. Die lagen dann vom Preis so hoch, dass dadurch der ganze Druck finanziert wurde. Es war ein Zusammenhalt, der ganz viel mit Freundschaften untereinander zu tun hatte. Man las sich vor, man half sich gegenseitig. Es gab Visionen literarischer und politischer Natur, über die heftig gestritten wurde. So einfach wiederholen lässt sich das nicht, auch nicht mit einem Büro und viel Geld – obwohl das helfen könnte. Als ich von Gelsenkirchen in den Westerwald zog, habe ich dort die Literarische Werkstatt sehr vermisst und versucht, in Altenkirchen eine neue zu gründen. Die Resonanz war riesig. Am ersten Abend kamen vierzig Poeten. 15 Jahre lang trafen wir uns einmal im Monat und veranstalteten gemeinsame Lesungen. Für mich wehte dann immer der Wind der LWG durch den Westerwald. Die Anwesenheit von Hugo Ernst Käufer, Josef Büscher und all den anderen Ruhrpottpoeten konnte ich, wenn ich die Augen schloss, fast physisch spüren, und ich roch auch Detlef Marwigs unverzichtbare Rothändle.

Rainer Horbelt
Rainer Horbelt war ein Vollblutautor und ständig unter Strom. Obwohl er wirklich hart und viel arbeitete und im Grunde recht erfolgreich war, immerhin wurden seine Bücher gedruckt und seine Filme gesendet, litt er ständig unter Geldmangel. Einmal war ich dabei, als in seiner Wohnung das Telefon abgedreht wurde, er erwartete aber einen wichtigen Anruf, der genau die Geldprobleme beheben sollte. Es tat ihm weh. Er fühlte sich ungeliebt von der Stadt und von vielen Kollegen. Er war sehr verletzlich und konnte harsch und aufbrausend sein. Leider hatte er meist recht wenn er verbal austeilte, trug es aber oft so vor, dass es schwer war, danach wieder »normal« miteinander umzugehen. Er lebte in ständigem Krieg mit vielen Menschen, weil er alles persönlich, viel zu persönlich nahm. Das hat ihm oft sehr geschadet.
Wir haben gemeinsam das Theaterstück »Supermann spielt nicht mehr mit« geschrieben, das dann im Kellertheater Köln uraufgeführt wurde und mehr als hundert mal gespielt wurde. Gleichzeitig sollten auch die Proben zu seinem Stück »Spielmaschine« beginnen. Er war glücklich, zwei Stücke gleichzeitig an einem Theater. Unser Kinderstück und dann die Spielmaschine mit der er – das hoffte er heimlich – Theatergeschichte schreiben würde.
Während einer Probe erfuhr er vor allen Schauspielern, dass sein Stück »Die Spielmaschine« noch vor der Uraufführung abgesetzt worden war. Er brach innerlich fast zusammen, setzte sich zur Wehr, tobte. Ich habe damals mit ihm gelitten und sehr gespürt woher seine vielen Wunden kamen. Auf der Rückfahrt von Köln nach Gelsenkirchen schwieg er lange, dann sagte er mir, ich solle mir das noch tausend mal überlegen, ob ich wirklich freier Autor werden wolle. »In Deutschland kriegst du nur in die Fresse. Du musst durch eine Phalanx von Verhinderern in Sendern, Verlagen und Theatern. Die meisten wollten selbst Künstler werden, haben es aber nicht geschafft, weil das Talent nicht reichte oder sie hatten Schiss vor dem vogelfreien Leben und sind irgendwo in der Branche untergekrochen, wo man ihnen ein warmes Pöstchen angeboten hat. Diese Typen werden Dir nie verzeihen, dass Du bist, wie du bist. Du dürftest eigentlich gar nicht existieren, du bist ein Putschversuch gegen ihr Leben. Deshalb werden sie Dir Schwierigkeiten machen. Sie lassen nur das Mittelmaß an sich vorbei, dann können sie immer heimlich grinsen und denken: das kann ich auch. Vermutlich sogar besser.«
In meinem späteren Berufsleben als Autor habe ich oft an ihn gedacht, wenn ich frustriert Redaktionen oder Verlagshäuser verließ. Wie so oft hatte er auch damals Recht. Er übersah nur, dass es auch die anderen gab, die Förderer. Er ist viel zu früh und weit weg von Gelsenkirchen gestorben.

Günther Braun
Ich weiß leider nicht, was aus Günther Braun wurde. Ich habe ihn 1970 kennengelernt und 1980 den Kontakt zu ihm verloren. Ich mochte ihn sehr. Ich war noch Schüler am Grillo Gymnasium und drohte mal wieder sitzen zu bleiben, das erwähnte ich bei meiner eigenen Vorstellung während einer Lesung der Literarischen Werkstatt Gelsenkichen LWG. Es brachte mir Sympathien bei vielen anwesenden Schülern. Dann stand Günther Braun auf und sagte: »Ich hoffe, die Schule nimmt dem jungen Dichter nicht zu viel Zeit, denn es wäre schade, wenn er aufhören würde zu schreiben, nur um nicht sitzen zu bleiben.« Er erntete dafür viel Gejohle und Beifall.
Später outete er sich als Mathelehrer und bot mir kostenlose Mathestunden an. Ich war gerührt.
Er hat nicht nur die zwei leider vergriffenen Bücher geschrieben sondern er dichtete täglich. Ein, zwei Limericks am Tag waren für ihn kein Problem. Schreiben war für ihn wie Atmen. Eine Notwendigkeit.
Er hat mir und meiner Freundin Mary oft Privatlesungen bei sich zu Hause gegeben. Das waren wundervolle Stunden voller Sprachwitz und poetischem Zauber. Dann sah er glücklich aus.
Einmal, als ich einen Unfall hatte und mit Gehirnerschütterung und dickem Kopfverband im Bett lag, besuchte er mich und hatte natürlich ein Gedicht für mich dabei. »Nicht jeder, der auf den Kopf gefallen ist, ist auch auf den Kopf gefallen.« Als Geschenk brachte er mir einen Kugelschreiber mit, mit dem man auch im Liegen schreiben konnte – also mit der Schreibspitze nach oben statt nach unten. Das war damals der neuste Schrei und sauteuer. So, meinte er, könnte ich auch an meinem Roman arbeiten, wenn ich auf dem Rücken liegen müsste.
Manchmal kam er mir sehr einsam vor, auf der Suche nach einem Freund, aber irgendwie in einem unsichtbaren Käfig gefangen, der ihm vieles unmöglich machte. Die Welt ist nicht gerade geschaffen für einen knorzigen Querkopf wie ihn. Er hat an der Welt und wohl auch an sich selbst gelitten und manchmal mit seinen Gedichten und Geschichten der Welt ins Gesicht gelacht.

Detlef Marwig
Detlef war ein großer Nachwuchsförderer und Freund von jungen Autoren. Ich habe von ihm das Kurzgeschichtenschreiben gelernt und weiß noch, wie stolz er war, als meine erste Geschichte veröffentlicht wurde. Ohne ihn und Arbeiterschriftsteller wie Josef Büscher, Richard Limpert und Kurt Küther hätte ich meinen Weg nicht gemacht. Es gab mal in Gelsenkirchen eine sehr aktive Literaturszene. Dazu gehörten auch heute zu Unrecht vergessene wie die Lyrikerin Liselotte Rauner oder der wundervolle Günther Braun mit seinen klugen Gedichten und der Kriminalschriftsteller Frank Göhre.
Wenn ich mal wieder in einem Deutschaufsatz am Grillo Gymnasium eine Fünf hatte, tröstete Detlef mich und zählte an beiden Händen auf, wie viele gute Autoren schlechte Deutschnoten hatten. Manchmal sagte er: »Dein Lehrer hat keine Ahnung, er versteht nichts von Dichtung und Poesie.«
Günther Braun gab mir kostenlose Nachhilfestunden in Mathe, damit ich nicht sitzen blieb. Rührend, aber genutzt hat es nicht viel. Wir haben dann doch mehr über Literatur gestritten als Kurven diskutiert. Detlefs Urteil konnte hart sein und scharf. Manchmal schien es mir, als würde er seinen eigenen Erfolg boykottieren. Als ich die Möglichkeit wahrnehmen wollte, einen Sammelband seiner Kurzgeschichten in einem Verlag unterzubringen, für den ich als Lektor tätig war, fand er sie nicht. Nur ein paar in Zeitungen verstreut veröffentlichte konnte er mir anbieten. Sie konnten nicht mehr verlegt werden. Er hatte sie sozusagen schon selbst verlegt. Ich verneige mich noch heute vor dem Meister der Kurzgeschichte.

Herbert Knorr
Zur Gelsenkirchener Literaturszene gehörte auf jeden Fall auch Herbert Knorr (geb. 52) Er bekam den Förderpreis der Stadt als eine Art Starthilfe. Es hat sich gelohnt. Er hat zahlreiche Werke verfasst unter anderem über Schnitzler. Heute organisiert er unter anderem das Krimifestival Mord am Hellweg. Ich glaube, eigentlich hatte er mal Bankkaufmann gelernt oder so was, aber für die Literatur in Gelsenkirchen und NRW ist er bestimmt wichtiger als für das Bankwesen.
So verfasste er unter anderem das Werk "Zwischen Poesie und Leben" über die Literatur in Gelsenkirchen von der Industrialisierung bis 1945. Ein dickes Werk. Eine wichtige Arbeit, wenn man die Stadt und ihre Vergangenheit verstehen will.

Ernst Günther
Ernst Günther galt in den Siebzigern als echte Begabung. Er schrieb an einem Roman, Auszüge sind in dem von Hugo Ernst Käufer herausgegebenen Sammelband "revier heute" (zwei Auflagen 1972 im Georg Bitter Verlag) enthalten. Er gab für kurze Zeit die Zeitschrift Literarische Revue heraus, die an vielen Orten im Revier kostenlos auslag, keine Ahnung, wie er das damals finanziert hat. Er brachte darin auch eine Geschichte von mir, die ich mit 14 Jahren geschrieben hatte. »Nach dem Fußballspiel«. Er zahlte mir dafür das damals irre hohe Honorar von 50 DM. In meiner Erinnerung hat er mich bei jedem Treffen unter den Tisch gesoffen. Ich war keine harten Sachen gewöhnt und er holte immer gleich eine Flasche heraus. Ich mochte ihn, wegen seiner direkten, manchmal schroffen Art, habe aber später jeden Kontakt zu ihm verloren und auch den Roman – leider – nirgendwo entdeckt. Gedichte von ihm (erschienen bei Relief) waren eine Weile ziemlich kultig und wurden von vielen Schülerzeitungen nachgedruckt.

Gert Fritz Unger
G.F. Unger hat sich mit seinen Western zum bekanntesten Wildwestautoren hochgearbeitet. Eine Weile schrieb er ein Bastei Heftchen pro Woche. Ob man solche Literatur mag oder nicht, er war ein sehr bekannter Mann und hat in Gelsenkirchen nach dem Krieg die Rathaus Uhr in Buer repariert und dann Nazi Tresore für die Alleierten geknackt. Die braune Brut war ja aus der Verwaltung plötzlich verschwunden, hatte aber die Schlüssel für die Tresore nicht hinterlassen. Er hat mir das mal bei einem Bier erzählt: ich dachte damals es sei nur Spass, aber die Sache hatte offensichtlich Hand und Fuß, wie ich erst Jahre später begriff.

H.C. Nagel
H.C.Nagel war tatsächlich in Gelsenkirchen beim Presseamt und dort sogar Abteilungsleiter. Er war irre produktiv, hat mehr als 200 Western geschrieben! Geboren wurde er 1924. Er war an jedem Kiosk und in jeder Leihbücherei vertreten. Seine Bücher und Heftchen erreichten Millionenauflagen. Er schieb unter vielen Pseudonymen zum Beispiel: O.W. Krüger, H.C. Hollister und Ted Milton. Bestimmt noch mehr, aber ich weiß nicht mehr alle.
Unger war immer ein bisschen berühmter als er und irgendwie immer mehr geachtet. Zwei Westernkönige in Gelsenkirchen!! Welch irre Situation.
Die Autoren der Literarischen Werkstatt Gelsenkirchen (LWG) erzählten sich gern den Witz, die beiden hätten sich in der Bahnhofstrasse zum Duell getroffen, O-beinig und mit blank gewienerten Colts, dann seien sie aber doch lieber zum Alfons gegangen, um in Ruhe einen zu trinken, statt es auszuschießen.
Im Grunde waren wir neidisch auf ihre Lesermassen. Wir waren ja schon stolz, wenn von unseren Anthologien mal tausend Stück verkauft wurden. Und heimlich habe ich sie dann doch gelesen.

Michael Klaus
Eine Weile war ich, als ich von seinem Tod erfuhr wie betäubt. Es kam aber dann auch Schlag auf Schlag. Peter Rühmkorf, Djingis Aitmatow … Im Winter haben Michael und ich noch miteinder telefoniert. Es war ein langes, tiefes Gespräch. Ich bot ihm mein Gästezimmer in Ostfriesland an. Wir wollten am Deich spazieren gehen und ein gemeinsames Projekt aushecken. Die Abschiedsworte mit seiner unverwechselbaren Stimme gesprochen klingen mir noch im Ohr. "Wir sehen uns wieder KP, ganz bestimmt. Im Sommer in Ostfriesland!" Wiedersehen werden wir uns hoffentlich, dachte ich, als mich die Nachricht von seinem Tod traf. Aber vermutlich noch nicht in diesem Sommer und auch nicht in Ostfriesland. Wir haben uns eine Weile sehr verbunden gefühlt und sind ein gutes Stück Weg miteinander gegangen. Gerade am Anfang. Zwei junge Autoren aus Gelsenkirchen suchten ihren Weg, hinein in Sender und Verlage. Da hat man sich gern gegenseitig Türen aufgemacht oder vor schrecklichen Redakteuren gewarnt. "Geh bloß nicht zu dem mit Deinem Stoff, aber eine Tür weiter, dieser Kettenraucher, der immer aussieht als müsste er jeden Moment kotzen, der ist eigentlich ganz in Ordnung." Als ich zu einer gemeinsamen Veranstaltung nach Gelsenkirchen kam, war Michael schon nicht mehr dabei. Zu schwach, zu krank. Auf meinen letzten Brief hat er dann schon nicht mehr geantwortet. Ich vermiss Dich Alter Kämpfer, verdammt ich vermiss Dich! Typen wie Du einer warst sind so wichtig für die Literatur, für das Land ach Scheiße, für mich!
Dein alter Kumpel Klaus-Peter Wolf

Helga Riedel
Es muss im Frühjahr 68 gewesen sein, ich besuchte mit meiner Freundin Mary eine Veranstaltung der Literarischen Werkstatt Gelsenkirchen. Ich war mir nicht sicher, ob ich reinkomme, ich war erst 14 Jahre alt. Aber der Lyriker Hugo Ernst Käufer, damals so etwas wie der Kopf der Werkstatt, freute sich über die jungen Leute.
Helga Riedel las und ich glaube auch Frank Göhre (der spätere Tatortautor), jedenfalls war er auch da. Helga Riedel war eine schöne, junge Frau mit langen Haaren. Sie lebte in Gelsenkirchen - offensichtlich war sie gerade dabei, sich von ihrem Mann zu trennen, was sich in ihren Texten spiegelte.
Bei der Publikumsabstimmung in der Literarischen Werkstatt kam sie eine Runde weiter ins Viertelfinale. Ja, grinst ruhig, Poetry Slam, DSDS, das alles scheint vorher schon in Gelsenkirchen stattgefunden zu haben. Später schrieb Helga Riedel drei viel beachtete Kriminalromane. Einer muss tot, Der Wiedergänger und Ausgesetzt. Sie erhielt den Deutschen Krimipreis. Klingt klasse, aber sie hatte auch eine Menge Pech im Leben. Ihre Mutter glaubte sich in einem ihrer Romane wiederzufinden und brach darauf den Kontakt ab. Helga Riedel hatte einen schweren Autounfall und lag lange im Koma. Ihre Bücher verschwanden aus den Buchhandlungen, weil Rowohlt die ganze Reihe einstellte. (Schwer zu begreifen. Um so einen Schwachsinn zu verstehen muss man vermutlich BWL studieren.) Auf jeden Fall gehört sie in die Galerie unserer Autoren und ist Beispiel für viele, die ihre literarische Karriere in der LWG (Literarischen Werkstatt Gelsenkirchen) begannen.

Klaus Peter Wolf

"Gleichschaltung" - Ein gescheitertes Experiment! Zur Bedeutung des Buches in der NS-Mediendiktatur

Lesung und Vortrag von Dr. Jan-Pieter Barbian
anschließendes Gespräch mit Gerd Herholz, Leiter des Literaturbüros Ruhr, und Dr. Matthias Keidel, Die Wolfsburg.
Der NS-Staat war auch eine Mediendiktatur, in der die Literatur eine ideologisch definierte Rolle spielen sollte. Was im Dritten Reich erschien, war in vielen Fällen "von Goebbels´ Gnaden". Doch der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, der in Personalunion auch Präsident der Reichskulturkammer war, musste seine Macht mit anderen Herrschaftsträgern teilen. Der Vortrag schildert diesen zwölfjährigen Kampf zwischen staatlichen und parteiamtlichen Bürokratien um die Aufteilung und praktische Anwendung der literaturpolitischen Kompetenzen. Darüber hinaus geht der Vortrag auf die konkreten Auswirkungen der Politik auf das Verlagswesen, den Buchmarkt und die literarische Produktion ein.
Dr. Jan-Pieter Barbian studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie an der Universität Trier. Seit 1999 Direktor der Stadtbibliothek Duisburg, nebenberuflicher Geschäftsführer des Vereins für Literatur und Kunst und der Duisburger Bürgerstiftung Bibliothek. 2009 als "Librarian in Residence" des Goethe-Instituts in New York und in Washington, D.C.Auf Einladung des Goethe-Instituts Beijing 2011 Vortragsreise nach Beijing, Wuhan und Shanghai. Zahlreiche Publikationen zur Literatur- und Kulturpolitik der NS-Zeit, zu Film und Politik in der Weimarer Republik, zur Geschichte und Literatur des Ruhrgebiets im 20. Jahrhundert, zu den deutsch-niederländischen Beziehungen in der Weimarer Republik und zu den deutsch-polnischen Beziehungen im 20. Jahrhundert.

Westfälisches Landestheater sucht bundesweit Autoren und Autorinnen mit Migrationshintergrund

IN ZUKUNFT heißt der erstmalig vom Westfälischen Landestheater (WLT) Castrop-Rauxel angebotete Wettbewerb für Autorinnen und Autoren mit Migrationshintergrund. Im Rahmen einer achtmonatigen Workshop-Reihe sollen Schreibtalente aller Altersklassen befähigt werden, Stücke für die Theaterbühne zu verfassen. Das Projekt, das vom NRW-Kulturministerium gefördert wird, ist nach Einschätzung von Mit-Initiatorin Tina Jerman, NRW-Fachkoordinatorin für Kultur und Entwicklung, europaweit der einzige Wettbewerb mit diesem Schwerpunkt. Aufgrund der Einmaligkeit des Wettbewerbs wird die Frist nun um einen Monat bis zum 15. Juni verlängert.
In Deutschland hat mittlerweile fast ein Viertel der Bevölkerung einen sogenannten Migrationshintergrund. „Das bedeutet“, so Tina Jerman, „dass in den Biografien dieser Menschen auch andere kulturelle Einflüsse zum Tragen kommen“. Während das Stücke-Angebot der „Bio“-Deutschen Autoren sehr groß sei, „herrscht ein eklatanter Mangel an Texten und Theaterstücken, die das Thema Zuwanderung und Interkultur thematisieren“, erklärt Ideengeber Christian Scholze, Theaterregisseur und Dramaturg am Westfälischen Landestheater (WLT) in Castrop-Rauxel. Mit der Inszenierung der „Schwarzen Jungfrauen“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel hat er 2006 bundesweit für Aufsehen gesorgt.
Gesucht werden mit dem Wettbewerb IN ZUKUNFT positive Potentiale, wie die Schätze anderer Kultureller Traditionen und Geschichten, Mehrsprachigkeit und Multiperspektivität, aber auch negative Potenziale, wie Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen. „Theater im besten Sinne“, erläutert Tina Jerman, „behandelt mit den Mitteln der Kunst die großen menschlichen Fragen, wie Würde, Liebe, Tragödie und Tod. Aber die dramatischen Erzählweisen und Verortungen sowie Assoziationen und Illustrierungen der Themen variieren“. Der Wettbewerb solle neue Fenster, Blickweisen und Erklärungsmuster in die Welt öffnen, die auch die Realität der hier lebenden Migranten widerspiegeln.
Geleitet wird der ab Herbst 2011 einmal im Monat stattfindenden Workshop von Maxi Obexer, Professorin für Szenisches und Kreatives Schreiben an der Universität der Künste in Berlin. Mehr als nur eine Herkunft und Zugehörigkeit zu besitzen ist der in Südtirol/Italien geborenen Theater- und Romanautorin („Das Geisterschiff“) durchaus vertraut. „Was mich immer schon interessiert hat, ist, wie Migration die Menschen prägt – ihren Geist, ihr Kommunizieren, ihr Verhältnis zu den anderen, - im Vergleich zu jenen etwa, die tief verwurzelte Besitzansprüche auf ein Land erheben – und mit ihnen die Ansprüche auf Macht und Deutungshoheit.“ Acht Monate lang wird sie mit Autoren das Erschaffen einer Bühnenwirklichkeit ergründen, die Sprache, die zeitlichen und räumlichen Achsen entwickeln sowie die Beziehung eines Theaterstücks zum Publikum erarbeiten. Die Workshops finden am WLT in Castrop-Rauxel statt. Alle Stücke werden 2012 im Rahmen von szenischen Lesungen öffentlich vorgestellt. Ein Theaterstück gelangt am Ende zur Uraufführung. Eine prominent besetzte Jury begleitet IN ZUKUNFT, so u.a. Professor Dr. Geoffrey Davis, emeritierter Anglist der Rheinisch-Westfälischen Technischen Universität Aachen, Spezialist für Postcolonial Literature Studies. Er hat u.a. die Auswirkungen des Audience Development auf die künstlerische Produktion im Theater in Großbritannien untersucht. Dr. Mark Terkessidis, Dipl. Psychologe, Journalist und Autor des Buches „Interkultur“ mit einem Plädoyer für den Paradigmenwechsel in deutschen Kultureinrichtungen. Manfred Ortmann, langjähriger Lektor bei einem großen Theaterverlag und ein Kenner der Autoren- und Stückelandschaft in Deutschland.
Die Bewerbung zur Teilnahme läuft noch bis zum 15. Juni 2011. Bewerben kann man sich mit eigenen Texten oder bereits fertig Stücken und einem Exposé für ein Theaterstück beim Westfälisches Landestheater, Herrn Axel Prochnow, Europaplatz 10 in 44575 Castrop-Rauxel. Nähere Infos und Teilnahmebedingungen unter www.westfaelisches-landestheater.de .

Klartext sucht Bilder und Texte zur Kulturhauptstadt!

Das Kulturhauptstadtjahr ist vorbei. Viel gab es zu erleben, zu entdecken und zu erfahren. Wie sind Ihre Erfahrungen? Was war Ihr schönstes Erlebnis im Zusammenhang mit der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010? Was bleibt in Erinnerung?
Der Klartext Verlag sucht Texte und Bilder zur Kulturhauptstadt, pro Teilnehmer maximal ein Bild und/oder ein Kurztext. Die besten Einsendungen werden zusammengestellt und als kostenloser Download veröffentlicht! Unter allen Teilnehmern werden zudem Buchpakete zur Kulturhauptstadt und Buchgutscheine des Verlages verlost.

Einsendeschluss ist der 31. März 2011.
Texte und Bilder bitte per Email an butt@klartext-verlag.de oder per Post an Klartext Verlag, Kathrin Butt, Heßlerstr. 37, 45329 Essen.

Michael Starcke

nachrichten (für kalle gajewsky)

nachrichten,
herzzerreißend viele
an irgendeinem tag,
einem herbsttag meinetwegen.
nebel zieht auf,
eine art unwider-
stehlicher drang,
zu entschlüsseln
die rätsel des lebens,
verrichtung oder
flüchtige begegnung.
warum diese stille,
warum dieses schweigen
jetzt und zehn
stunden später.
was man gehört hat,
hat man gehört,
selbst wenn es
kaum zu glauben ist
die selbstmordattentate,
unwiderrufliche bekenntnisse,
aufgeregte berichte.
wir, reisende in
misslicher lage,
kommen oft hinter
verschlossenen türen
und fensterläden an,
ohne die neugier
leugnen zu können,
täuschungen, respekt
in einer bekennenden stimme,
die sich fremd bleibt
und doch erfinderisch ist.

Schreibwelten - Erschriebene Welten

Eine Ausstellung zum 50. Geburtstag der Dortmunder Gruppe 61

Ein Projekt des Fritz-Hüser-Instituts für Literatur und Kultur der Arbeitswelt in Kooperation mit dem Institut „Moderne im Rheinland“ an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Technischen Universität Dortmund

19.02. - 01.05.2011
Eröffnung 18.2.2011

Ort: Museum für Kunst- und Kulturgeschichte Dortmund, Ausstellungshalle

Wir schreiben das Jahr 1961. In Berlin beginnt der Mauerbau, in ganz Deutschland wird ‚Die Pille’ käuflich und in Dortmund? In Dortmund bricht eine Gruppe auf, den Literaturbegriff zu verändern. Sie nennen sich die Dortmunder Gruppe 61 und kommen aus dem ganzen Land in diese Stadt. Sie sind Arbeiter, Bergmänner, Angestellte, sie sind schreibende Menschen, die den Gegenstand ihres Alltags, die Arbeit, literarisch erfassen wollen. Ein Skandal, der der Öffentlichkeit nicht lange verborgen blieb und für umfangreiche Diskussionen in allen Medien sorgte: Was ist das eigentlich – Literatur? Und wer macht Literatur?

Die Dortmunder Gruppe 61 hat in den 1960er Jahren den Literaturbegriff verändert, er sollte nicht mehr Ausdruck einer intellektuellen Elite sein, sondern Ausdruck von Menschlichkeit, Solidarität und Gegenwart. Heute ist die Gruppe fast vergessen. Die Ausstellung erinnert an die wichtige Bewegung und stellt die Frage neu: Was ist das eigentlich – Literatur?

Das Projekt wird gefördert von

Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten
Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen
DSW 21
Fritz-Hüser-Gesellschaft
Hans-Böckler-Stiftung
Kunststiftung NRW
LWL-Kulturstiftung
Sparkasse Dortmund
Stiftung Mercator