Literaturlandschaft Ruhrgebiet

Von der Städtestadt zur Metropole Ruhr, von der Industriekultur zur Kulturindustrie. Das Ruhrgebiet ist spannend. Erleben Sie mit mir den Wandel und die literarische Vielfalt in ausgesuchten Hör- und Videobeiträgen. Hier finden Sie zudem Kommentare und Kurzbiografien der beteiligten Personen, Informationen zum REVIERCAST-Projekt, Verweise auf verwandte Projekte sowie aktuelle Nachrichten aus der Literaturszene im Revier.

Viel Vergnügen beim Stöbern ...

Karl-Heinz Gajewsky

"Inzwischen habe ich mir Ihre Website angesehen, das ist ja ein Opus magnum, an dem Sie da arbeiten, die literarische Kartographierung des Ruhrgebiets, großartig, und mich haben Sie damit in beste Gesellschaft aufgenommen."

Andreas Rossmann, FAZ

Aus dem Archiv - H. Peter Rose: Ein Himmel auf Erden? Anmerkungen zur Vorstellung des Buches "Der Himmel ist unter uns" von Wolfgang Thiele und Herbert Knorr am 9. Oktober 2003 in der Gelsenkirchener Buchhandlung Lothar Junius

Vor einem Jahr rief mich Herbert Knorr an und berichtete mir von der sensationellen Entdeckung eines Hobbyarchäologen. Dieser, Wolfgang Thiele aus Nachrodt, wollte nämlich im Sauerland herausgefunden haben, dass es dort früh- und hochmittelalterliche Standorte kirchlicher Gebäude gäbe, deren räumliche Konstellationen Sternbildern des nördlichen Sternenhimmels aus der Zeit um 3000 v. C. entsprächen. Thieles Entdeckung in unserer engeren Heimat zwischen Rhein und Weser, Lippe, Ruhr und Main sei so etwas wie ein "erstes Weltwunder".

Überzeugt war ich von der Geschichte zunächst nicht. Ich blieb eher skeptisch-neugierig, wie es Herbert Knorr wohl auch gewesen sein mag, als Wolfgang Thiele ihn, den Leiter des Westfälischen Literaturbüros in Unna, im Sommer 1995 um Rat und Tat bei der Veröffentlichung seiner umfangreichen Aufzeichnungen bat. Knorr las das Manuskript und begriff: "Wenn das alles stimmte, was er da herausgefunden hatte... Unglaublich! Ein Himmel ... auf der Erde ... unter unseren Füßen ... aus der Steinzeit. 5000 Jahre alt!" Herbert Knorr hatte Feuer gefangen und stieg aktiv in das Forschungsprojekt "Der Himmel auf Erden" ein. –

Damit begann vor gut acht Jahren die gemeinsame Arbeit an einer wunderbaren Sache, aber wohl auch eine wunderbare Freundschaft zwischen dem unermüdlichen, ja besessenen Wolfgang Thiele und seinem "Alter Ego", dem anderen Ich, Herbert Knorr. Am Anfang stand die Idee, eine Vermutung, eine Hypothese, nämlich die Frage "Warum gibt es in Deutschland keine neolithischen Kultstätten wie im südenglischen Stonehenge oder im bretonischen Carnac?" Sie wurde schließlich mit dem Faktum einer ebenso verblüffenden wie faszinierenden Erkenntnis beantwortet:
Unter der Annahme, dass die ältesten Kirchen, Kapellen und Klöster auf dem Grund uralter heidnischer Kultstätten erbaut worden waren, konnten von 258 Standorten tatsächlich 237 – also 92 Prozent – eindeutig 17 Sternbildern und Einzelsternen zugeordnet werden! Und: dieser "Bodensternhimmel" bildete exakt eine Sternenkonstellation ab, die in der Zeit um 2800 v. C. in unserer Gegend nachts am Himmel zu sehen war.

Der Weg zu diesem Ergebnis war mit enormen zeitraubenden Mühen, mit Lust und Frust gepflastert. Wolfgang Thiele und Herbert Knorr haben den 25 Kapiteln ihres Buches Zitate vorangestellt. Eines, es ist dem Werk von Karl R. Popper "Die Evolution und der Baum der Erkenntnis" entnommen, trifft genau die Denk- und Arbeitsweise der Autoren in ihrem fortwährenden rastlosen Bemühen, den Prozeß der Beweisführung voranzutreiben.

"Denn ein Problem verstehen
heißt seine Schwierigkeiten verstehen;
und die Schwierigkeiten verstehen
heißt einsehen, warum es nicht leicht lösbar ist –
(...) So machen wir uns mit dem Problem vertraut
und können von schlechten Lösungen
zu besseren kommen – immer vorausgesetzt,
dass wir die schöpferische Fähigkeit haben,
immer neue Vermutungen aufzustellen."

Was jetzt als Buch vorliegt, ist der Bericht über den Forschungsprozess, in dem sich beide Autoren gemeinsam acht Jahre lang und Wolfgang Thiele allein noch mindestens 10 Jahre länger abgemüht haben, wissenschaftlich Licht ins frühgeschichtliche Dunkel zu bringen. Und das ist ihnen auch gelungen. Sie haben Erkenntnisse zu Tage gefördert, die von den etablierten Fachwissenschaften nicht ignoriert werden können. Gleichzeitig haben sie jedoch auch neue Fragen aufgeworfen. Fragen vor allem an die jeweiligen Fachwissenschaften, die nun gefordert sind, sich ihnen zu stellen und im Sinne der Aufklärung an ihrer Beantwortung mitzuwirken.

Ich habe das Buch zügig gelesen und versucht, den beschriebenen Forschungsprozess nachzuvollziehen und zu verstehen. Das war in aller Regel spannend und faszinierend, aber manchmal eben auch schwere Kost, wenn z.B. die entdeckten Sachverhalte durch komplizierte Berechnungen belegt werden. Wer sich darauf einlässt und begreift, wie da mit wissenschaftlichen Methoden, praktischer Vernunft, kriminalistischem Spürsinn, mit wachen Sinnen und hellem Verstand gearbeitet wurde und wie das erkenntnisleitende Interesse im Verfahren von Versuch und Irrtum zu schlüssigen Ergebnissen führt, der wird reich belohnt. Man spürt, wie die verschiedenen Wissenschaften ineinandergreifen und zusammenarbeiten müssen wie, um einige zu nennen, Geschichte, Geographie, Astronomie, Mathematik, Geometrie, Etymologie, Mythologie. Die Erkenntnisse der Fachwissenschaften müssen zusammengedacht und wie ein Puzzle zusammengesetzt werden. Und darüber hinaus ist Phantasie immer dann gefordert, wenn es Lücken im Mosaik gibt, die nach bestem Wissen und Gewissen geschlossen werden müssen.

Als ich die letzte Seite gelesen hatte, lag eine etwa einwöchige kulturgeschichtliche Lesereise in die Vergangenheit hinter mir. Manchmal ein bisschen beschwerlich, aber insgesamt faszinierend. Denn ich hatte mich auf etwas eingelassen, was mich eigentlich nie sonderlich interessiert hatte: Frühgeschichte und Astronomie.

Für die vor uns liegenden langen Winterabende, erzählt der "Himmel ist unter uns" eine Geschichte von Himmel und Erde, die sich vor 5000 Jahren in unserer Region, aber eben auch anderswo abgespielt hat. Denn wahrscheinlich, wir wissen es nicht, sind die über die Sterne vermittelten Beziehungen zwischen Himmel und Erde so alt wie die Menschheit auf diesem Planeten. Wer dieses Buch gelesen hat, wird ein Gefühl dafür bekommen, dass nicht nur die Zukunft eine Perspektive hat und offen ist, sondern auch die Geschichte. Mit Reisen ins Weltall allein werden die Rätsel und Probleme unserer Erde jedenfalls nicht gelöst.